Sollen Arbeitswelten neu entwickelt werden oder wird eine Interimsunterbringung benötigt, die Nutzer hilfreich finden, die sie gerne nutzen, oder die sie sogar begeistern, müssen Bedürfnisse der Nutzer bekannt sein und von der jeweiligen Lösung angesprochen werden. Das hat z.B. Apple vor einigen Jahren erkannt und warb nicht einfach nur für den neuen MP3-Player, sondern für eine herausragende Erfahrung beim innovativen Eintauchen in die Musikwelt.
Es ist zwar möglich, dass auch Arbeitswelten ohne nutzerzentrierte Anforderungs-analyse das Herz ihrer Zielgruppe treffen. Solche Wirkungen sind jedoch nicht planbar und eher zufällig. Nutzerbedürfnisse früh im Entwicklungsprojekt zu erfassen und die daraus resultierenden Anforderungen als eine Ausgangsbasis für die Entwicklung neuer Arbeitswelten zu nehmen, ist erfolgversprechender.
Der direkte Weg Nutzerbedürfnisse zu erfassen ist es, mit den Nutzern zu sprechen.
Doch wie genau fragt man den Nutzer darüber, was er sich für ein neues Produkt vorstellt? In unseren Workshops werden dafür oft folgende Fragen vorgeschlagen: „Wie soll nun die neue Arbeitswelt aussehen?“ oder „Was wünschst du dir für dein Interim?“
Solche Fragen sind jedoch nicht geeignet, um richtige Insights für den Entwicklungsprozess zu generieren. Warum nicht? Wird der Nutzer doch direkt nach seinen Präferenzen gefragt?
Ja, allerdings auf eine direkte lösungsorientierte Art. Bei direkten Fragen über die Systemwünsche nennen Nutzer meist konkrete Ideen, wie „Besprechungsraum für 12 Personen“ oder „rote Buttons“. Solche Anforderungen sind jedoch keine Bedürfnisse, sie beschreiben nur mögliche Lösungen. Diese entstehen meist auf der Basis schon bekannter Produkte. Oft sind die Vorschläge auch situative Eingebungen oder rühren vom persönlichen Geschmack her. Geben Interviewer sich mit diesen Antworten zufrieden, bleibt den Entwicklern nichts Anderes übrig, als die genannten Lösungen zu implementieren. Den Nutzer mit dem neuen Produkt positiv zu überraschen wird somit schwer, ganz geschweige davon, dass andere Nutzer eher für den grünen Button plädieren können.
Ganz offensichtlich werden so nur die individuellen Wünsche und nicht die Bedürfnisse der Nutzer erfasst. Begriffe „Wünsche“ und „Bedürfnisse“ werden zwar im Alltag oft synonym verwendet werden. Aber es ist wichtig den Unterschied zu kennen und ihn im User Research durch richtige Fragen zu berücksichtigen.
Was sind Wünsche? Der Wunsch ist, laut Duden, „ein Begehren, dass jemand bei sich hegt oder äußert, dessen Erfüllung mehr erhofft als durch eigene Anstrengungen zu erreichen gesucht wird“. Dieses Begehren ist meist bewusst. Denn Wünsche richten sich auf konkrete materielle Gegenstände, wie Smartphones oder auf bestimmte Fähigkeiten, wie Kreativität. Nutzer können eine Menge von Wünschen an das neue Produkt haben und benennen, z.B. in Bezug auf Features oder Farben. Im Vergleich zu Bedürfnissen sind Wünsche leichter beeinflussbar: Sie können sich z.B. durch Werbung verändern, oder verblassen, wenn andere, bessere Produkte bekannt werden.
Wird ein System entwickelt, das nur auf die Wünsche der Nutzer ausgerichtet ist, muss es nicht unbedingt ein Problem der Nutzer lösen oder die Ist-Situation verbessern. Nutzer können sich Produkte wünschen, weil sie einfach nur schön sind.
Und was sind Bedürfnisse? Bedürfnisse verbergen sich meist hinter den konkreten Wünschen. Sie beziehen sich nicht auf Objekte oder Fähigkeiten, sondern auf emotionale Faktoren wie Wertschätzung als Mensch, Vertrauen und Kompetenz.
Ein Bedürfnis ist ein Verlangen, das aus dem Empfinden eines Mangels herrührt. Besteht also in etwas ein Mangel, erzeugt er tief im Unterbewussten ein Verlangen. Dieses motiviert zum Handeln, wodurch der Mangel beseitigt werden soll. Unterschiedliche Mängel verleiten unterschiedlich stark zum Handeln. Nach der berühmten Maslow’schen Bedürfnispyramide ist z.B. ein physiologisches Bedürfnis wie Schlaf oder Hunger stärker als ein Bedürfnis nach sozialer Kommunikation. Im Gegensatz zu Wünschen sind Bedürfnisse außerdem unspezifisch: Ein und dasselbe Bedürfnis kann durch unterschiedliche Handlungsweisen oder Produkte befriedigt werden.
Wie kann die Unterscheidung zwischen Wünschen und Bedürfnissen zum besseren User Research beitragen? Wird der Nutzer nach seinen Systemvorstellungen gefragt, kann er sich z.B. einen roten Bestätigungsbutton wünschen. Wird die Ursache für diesen Wunsch jedoch nicht hinterfragt, könnte die Lösung am wahren Problem vorbeigehen. Offene Fragen darüber, wann und wie genau der Button benutzt wird, könnten offenbaren, dass hinter dem Wunsch nach rotem Button das Bedürfnis nach Sicherheit steckt. So könnte der Nutzer den Button in heutiger Ausführung schlecht von anderen Buttons unterscheiden, verklickt sich sogar oft, was schon mal zum Verlust der Daten geführt hat. Seine wahre Anforderung an das neue System ist also nicht der rote Bestätigungsbutton an sich, sondern die Gestaltung der Eingabebestätigung in einer Art und Weise, dass er die Kontrolle über das System behält. Wird dieses Problem nicht verstanden, kann der nun rote Button so platziert sein, dass er trotzdem mit anderen Buttons verwechselt wird. Wird der Button jedoch so gestaltet, dass keine Verwechslung möglich ist, kann er auch grau bleiben. Es ist also wichtig, dass in der Anforderungsanalyse die tatsächlichen Nutzerbedürfnisse statt einer Wunschliste erfasst werden. Stellen Sie den Menschen und seine Aufgaben im Kontext in den Vordergrund. Sprechen Sie mit Nutzern über z.B. folgende Themenkomplexe:
Nutzer als Mensch:
Sind die Nutzer technikaffin? Welches (Vor-) Wissen und Erfahrung haben Sie im betreffenden Bereich?
Aufgaben:
Welche Aufgaben soll das neue System unterstützen? Wie werden diese Aufgaben heute bewältigt? Was läuft gut, und wo gibt es Probleme?
Anwendungskontext:
Wie sieht der normale Arbeitsalltag bzw. Kontext der Nutzer aus, in dem das neue Produkt genutzt werden soll? Wann, wo passieren welche besonderen Ereignisse?
Wichtig ist es dabei, die heutige Situation der Nutzer mit seinen positiven und negativen Erfahrungen zu verstehen. Erst am Ende des Gesprächs können auch konkrete Vorstellungen zu dem neuen System besprochen werden. Fragen Sie nach den Chancen und Risiken, die der Nutzer in Verbindung mit der Nutzung oder Implementierung der neuen Arbeitswelten oder das Interim sieht.
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